Inszenierung

Paul Glaser
für The Pride“
The English Theatre of Hamburg

Die Begründung der Jury lautet:
Das mit dem Stolz ist eine ambivalente Sache. Er kann sich nämlich auf unterschiedliche Weise manifestieren: als falscher Stolz verbunden mit Selbstüberschätzung, Neid oder Arroganz oder als ehrlicher, verdienter Stolz auf eine hart erarbeitete Leistung, vor allem dann, wenn man das überschreitet, was andere einem zutrauen. Dieses Überschreiten ist im Kunst- und Kulturkontext doch im besten Sinne ein notwendiger Antrieb und beschert uns neben gekonntem Handwerk und einem gut geölten Theater-Motor die glückseligen Momente, nach denen wir uns sehnen: „The Pride“ am English Theatre ist so ein Glücksmoment. Der Regisseur und künstlerische Leiter Paul Glaser kann also mit Fug und Recht stolz auf seine glänzende wie berührende Inszenierung sein. Er lotet mit den exzellent besetzten vier Darsteller*innen präzise und klug eine verwobene Dreiecksgeschichte aus, die zeigt, wie viel Mut es damals wie heute braucht, sich zur eigenen sexuellen Identität und den immer noch damit verknüpften gesellschaftlichen „Konsequenzen“ zu bekennen. Dieser intensive Abend zelebriert die Vielfalt und die Offenheit der Gesellschaft, die es heute mehr denn je benötigt, verteidigt zu werden.

 

Bastian Kraft
für „Der Talisman“
Thalia Gaußstraße

Die Begründung der Jury lautet:
Dass eine Posse aus dem Jahr 1840 heute noch schiere Begeisterung auslösen kann, haben wir nicht nur dem genialen österreichischen Dichter Johann Nepomuk Nestroy zu verdanken, sondern auch dem einfallsreichen Regisseur Bastian Kraft und seinem gesamten Team. Die Rede ist von „Der Talisman“, einer hochkomischen und bitterbösen Gesellschaftssatire über das Gift des Vorurteils in einer temporeichen und aberwitzigen Inszenierung am Thalia Gaußstraße. Kraft gelingt es, die simplen Elemente des Volkstheaters mit dem Einsatz raffinierter zeitgenössischer Video- und Bühnentechnik klug zu kombinieren. Wortwitz, Situationskomik, Verkleidung, Typologie werden dadurch auf eine absurde aber nie überzeichnende Spitze getrieben. Die fünf Schauspielerinnen und Schauspieler schlüpfen in insgesamt 15 verschiedene Rollen. Sie erfinden sich in fliegenden Kostüm- und Perückenwechseln jeweils neu – erst verdeckt, zum Schluss für alle sichtbar, die Bühnenwand dreht sich dann backstage. Sie tauschen fluide das Geschlecht und die Stimmlagen. Und sie demonstrieren eine berstende Lust am Spiel und am Gesang. Nach „Tod in Venedig“ eine weitere herausragende Regiearbeit von Bastian Kraft.

 

   

Bühnenbild

Jürgen Höth
„Dat Füerschipp“
Ohnsorg-Theater

Die Begründung der Jury lautet:
Diesen Anblick vergisst wohl niemand vor Beginn einer Vorstellung des Stückes „Dat Füerschipp“ am Ohnsorg-Theater nach der Erzählung von Siegfried Lenz. Da steht auf der Bühne gefühlt ein Schiff in Originalabmessungen, so als könne man gleich einsteigen, um in See zu stechen. Die See sieht man auch rund um das Schiff. Jürgen Höth hat dieses eindrucksvolle Bühnenbild, das einen Teil des vorderen Bereichs des Feuerschiffs mit Decksplanken, Reling, Treppen und allen weiteren Details zeigt, entworfen. Dank Drehbühne konnte Höth auch die aufgeschnittene Messe des Schiffs zeigen. In beiden Kulissen spielt sich das dramatische Geschehen um die Crew des Feuerschiffs und dreier Gangster ab. Eine wahrlich großartige Leistung, denn sein realistisches Bühnenbild gibt der spannenden Handlung erst den notwendigen, von Naturgewalt bestimmten Hintergrund.

 

Darstellung

Kristof Van Boven
für die Rolle des Macbeth in „Macbeth“
Deutsches SchauSpielHaus Hamburg

Die Begründung der Jury lautet:
Der Macbeth, den Kristof Van Boven uns im SchauSpielHaus Hamburg in der Inszenierung von Karin Henkel zeigt, ist eine Überraschung in mehrfacher Hinsicht. Äußerlich so ganz anders als die Vorstellung, die man von dieser Figur ursprünglich im Kopf hatte, erzeugt diese fast kindliche, unsichere und nervöse Person auch gleichzeitig alle möglichen sich widersprechenden Reaktionen im Kopf der Zuschauenden: Habe ich Mitleid mit diesem Häuflein Mensch? Ist er in seiner Verrücktheit nicht irrsinnig komisch und zugleich fürchterlich angsteinflößend? Fasziniert folgen wir seinen Gedankenschleifen, seinen körperlichen Verrenkungen und seiner im Laufe des Spiels immer kaltblütigeren Bosheit. Mimik, Gestik, Artistik – bei Kristof Van Boven ist ständig alles in Bewegung und in dieser Rolle zeigt er wieder einmal auf meisterhafte Art, was für ein enorm wandlungsfähiger, feinnerviger und intensiver Darsteller er ist.

   

Teresa Weißbach
für die Rolle der Hedda in „Hedda Gabler“
Hamburger Kammerspiele

Die Begründung der Jury lautet:
Teresa Weißbach ist eine unbeugsame, harte und dabei trotzdem auch verletzliche und weibliche Hedda. Sie zeigt eine Hedda, die geradezu einen körperlichen Ekel empfindet, wenn sie sich der ihr zugewiesenen begrenzten Rolle als Ehefrau bewusst wird. Die dann empfundene Leere lässt sie innerlich fast explodieren. Mittelmaß und Schwäche will und kann sie nicht ertragen. Ohne einen für sie erkennbaren Ausweg aus ihrer Situation, will Hedda wenigstens Macht, Schönheit, Bewunderung und Unterwerfung. Mit den Menschen in ihrem Umfeld, die sie dafür wie Figuren auf einem Schachbrett lenkt, spielt sie nach ihren unbarmherzigen Regeln Schicksal. Mit ihrer Darstellung dieser unkonventionellen und unberechenbaren Hedda, die eine unstillbare Sehnsucht nach einem anderen Leben umtreibt, lenkt Teresa Weißbach auf faszinierende Weise das gesamte Geschehen auf der Bühne. Sie erzeugt mit ihrem Spiel Mitleid, Unverständnis bis hin zur Fassungslosigkeit über die Unverfrorenheit ihres Handelns. Der Intensität ihrer Darstellung kann man nur staunend zusehen – bis zum bitteren Ende.

 

Musik und Komposition

Amy Brinkman-Davis
„Hans und Grete“
Opernloft im Alten Fährterminal Altona

Die Begründung der Jury lautet:
Ein paar Takte nur klingt das Vorspiel von Humperndincks „Hänsel und Gretel“ an – „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ wird es fortgeführt mit Mahlers drittem Rückert-Lied und damit ist die Stimmlage des Pflegeheimes „Waldfrieden“ als Handlungsort perfekt getroffen: „Hans und Grete – (k)ein Märchen für Erwachsene“ heißt die ergreifende Bearbeitung des Märchenopernevergreens im Opernloft, die die musikalische Leiterin Amy Brinkman-Davis erstellt hat. Der Wald des Seniorenpaares Hans und Grete ist ihre Demenz, die Hexe verkörpern die Schwestern des Heimes in den Angst- und Verfolgungsfantasien der beiden. Klavier, Cello und Horn, das fünfköpfige Ensemble – klein ist die Besetzung und groß das Resultat. Wenn die Volkslieder aus der Oper erklingen, kristallisieren die Erinnerungen der Dementen sich kurz an ihnen, während diskret projizierte Tafeln über Alzheimer aufklären. Erschütternd wie die Ängste und Gefühle Hans und Gretes ganz real Raum nehmen – kein triumphaler Sieg über die Hexe ertönt in dieser Fassung als Finale, ganz leise, sehr zärtlich, nachdenklich verhaucht die Oper – kein Märchen, sondern bestes aktuelles Musiktheater.

 

Salvatore Sciarrino
„Venere e Adone“
Staatsoper Hamburg

Die Begründung der Jury lautet:
Klänge am Rande der Stille, ein musikalisch feinst verwobenes Seufzen über die Macht der Liebe – das ist „Venere e Adone“, Salvatore Sciarrinos neue Oper, eine Auftragskomposition für die Staatsoper Hamburg. Der Komponist erzählt mit schlitzohrigem Humor aus der Mythenwelt von Göttin Venus und ihrer Adonisaffäre sowie von der gemeinschaftlichen Rache des Gatten Vulkan und des Liebhabers Mars unter Zuhilfenahme des Seitensprungsprosses Amor. Ein einsames Monster hallt da mit elektronisch verfremdetem Bass klagend dazwischen – das einzig fühlende Wesen hier, ein Wildschwein, das von Amors Pfeil getroffen Countertenor Adonis in Liebe zerreißt und mit ihm sterbend die Seelen tauscht. Das liebende Schwein erblüht fortan als Blume … „Schiffbruch eines Mythos“ nennt Salvatore Sciarrino sein so sinnlich-fragiles wie rhythmisch komplexes und anspielungsreiches Werk. „Wer triumphiert Liebe oder Tod“ fragt er mit dem Chor – hier auf jeden Fall die Oper.

 

Sonderpreis für außergewöhnliche Leistungen im Rahmen des Hamburger Theaterlebens

Michael Frowin und Heiko Schlesselmann
für die Leitung des Theaterschiff Hamburg

Die Begründung der Jury lautet:
Hier muss man ein Theater erstmal entern, man braucht seemännische Kenntnisse, um seinen Platz aufzusuchen. Vorstellungen finden schon mal auf schwankendem Boden statt und manchmal geht’s dann sogar mit dem ganzen Theater auf große Fahrt. Hamburgerinnen und Hamburger kennen und lieben „ihr“ Theaterschiff und für Touristinnen und Touristen sollte es eigentlich ein Muss sein, denn was hier Heiko Schlesselmann und Michael Frowin mit ihrem Team auf die Bühne bringen, ist immer wieder erstaunlich und beglückend. Zumal es sich auch noch um die kleinste und vor allem um die niedrigste Bühne der Stadt handelt, was viele Mitwirkende sicher schon schmerzlich erfahren durften. Und was bei einem Schiff sonst noch für Besonderheiten beachtet werden müssen, davon können die beiden nach der nervenaufreibenden Sanierung viel erzählen und einiges davon haben sie vermutlich in ihrem Programm „Menschen, Ämter, Katastrophen“ mit Humor verarbeitet. Wir sehen als Zuschauerinnen und Zuschauer jedenfalls nur, wie hier mit scheinbar leichter Hand immer wieder ein Programm gezaubert wird, das uns zum Lachen und Nachdenken bringt, egal ob mit Seemännern, literarisch-musikalischen Künstler*innenbiographien, dem Eurovision Song Contest, Gedanken über Macht und Geld oder wie man in kürzester Zeit Hamburgerin oder Hamburger werden kann. Heiko Schlesselmann und Michael Frowin gelingt es immer wieder, uns bestens gestimmt mit vielen Eindrücken und Bewunderung in den Abend zu entlassen. Das damals von Eberhard Möbius gegründete Theaterschiff ist mit diesem Team auf der Kommandobrücke sicher mehr als eine Hamburgensie, es ist ein quirliger, lebendiger, kluger Theaterort auf allerkleinstem Raum mit allergrößten Ideen, ein Ort, der nicht nur typisch für Hamburg ist, sondern mit diesem tollen Team auch unverzichtbarer und ganz besonderer Bestandteil der Hamburger Theaterszene.