Theaterpreis Hamburg - Rolf Mares Preisträger*innen im Porträt:
Sebastian Zimmler

Von Heinrich Oehmsen

Der Boxer von Szczepan Twardoch war für Sebastian Zimmler 2019 das „Buch des Jahres“, wie er sagt. Doch der Schauspieler hatte Bedenken, als ihm das Thalia Theater anbot, die Hauptrolle des jüdischen Boxers und Kriminellen Jakup Shapiro zu spielen. „Shapiro ist keine klassische Theater-, sondern eine Romanfigur. Ich konnte mir die Story als Film vorstellen, aber nicht so sehr als Theaterstück. Mir war nicht klar, wie man diesen epischen Text, in dem es viel um Identität und Erinnerung geht, auf die Bühne bringen kann“, erzählt er bei einem Gespräch im sogenannten Ballsaal im Thalia Gaußstraße. Doch Thalia-Intendant Joachim Lux und die polnische Regisseurin Ewelina Marciniak überzeugten den zweifelnden Schauspieler. „Ewelina hatte ganz klare Vorstellungen, was wir erzählen wollten“, so Zimmler.

Nach der Uraufführung am 14. September 2019 im Thalia Gaußstraße ernteten Regieteam und Ensemble herausragende Kritiken für die Dramatisierung des Romans. Sebastian Zimmler wird für seine Darstellung des Jakub Shapiro in diesem Jahr mit dem Theaterpreis Hamburg - Rolf Mares als "Herausragender Darsteller" geehrt, Ewelina Marciniak erhält den Theaterpreis „Der Faust“ in der Kategorie „Regie Schauspiel“.

Für Sebastian Zimmler war die Rolle des gewalttätigen Lebemanns, der in den 30er-Jahren in Warschau als Mafioso agiert, schauspielerisch eine Herausforderung. „Shapiro ist wie ein Bulle. Er steht mit beiden Beinen auf dem Boden und ist kaum umzustoßen. Ich bin eher topplastig, also mehr der verkopfte Typ“, beschreibt Zimmler seine Rolle, in der er elegant über die Bühne tänzelt wie Schwergewichtsweltmeister Muhamad Ali früher im Boxring.

Theaterarbeit bedeutet für den diesjährigen Theaterpreis Hamburg - Rolf Mares-Preisträger auch die Beschäftigung mit dem zu spielenden Stoff weit über den Theatertext hinaus. „So eine Rolle ist auch ein Geschenk, weil ich mich mit der jeweiligen Zeit auseinandersetzen will und muss. Ich besorge mir dann weitere Literatur, um wie beim ,Boxer’ in den politisch-historischen Kontext abzutauchen“, erzählt Zimmler. In Twardochs Roman geht es um den Nationalismus in Polen in den 30er-Jahren, um den weit verbreiteten Antisemitismus und die Frage über Polens Anteil am Holocaust – Themen, mit denen der in Schlesien geborene Twardoch sich gerade bei konservativen Kreisen in Polen keine Freunde gemacht hat. „Ewelina hat uns erzählt, dass der polnische Antisemitismus in ihrer Schulzeit kein Thema gewesen sei“, ergänzt Zimmler.

 

Thalia Theater
Der Boxer
Foto: Krafft Angerer

Der Boxer läuft weiter im Repertoire des Thalia Theaters, doch Sebastian Zimmler ist längst mit dem nächsten Projekt beschäftigt. Wieder geht es um einen epischen Text und nicht um ein Theaterstück. Seit drei Wochen probt er unter der Regie von Sebastian Nübling Herkunft, ein autobiografisches Werk von Saša Stanišic. Die Premiere ist für den 18. Dezember geplant, allerdings ist nach den aktuellen Lockdown-Bestimmungen noch nicht klar, in welcher Form das Stück gezeigt wird. „Es gibt zwar eine Stückfassung, doch wir sind immer noch dabei herauszufinden, wie man die Geschichte von Stanišic und seiner Großmutter erzählen kann. Die Großmutter verliert allmählich ihre Erinnerung und der Enkel versucht als Erzähler diese Erinnerungen zu sammeln“, beschreibt Zimmler den Kern von Stanišics Buch.

Privat gibt es aktuell Parallelen zu der Probenarbeit, denn Zimmler ist in den vergangenen Wochenenden oft in Berlin gewesen, um die Wohnung seiner Großmutter zu renovieren. „Da bin ich auf Koffer mit Schmalspurfilmen gestoßen, die mein Großvater aufgenommen hat. Ich habe den Projektor angeworfen und mir diese Filme angesehen. Es ist eine Zeitreise, in der ich zum Beispiel Aufnahmen von meinem Vater als Kind oder von meinem Großvater als 40jährigem gesehen habe.“

Sebastian Zimmler wurde 1981 in Ost-Berlin geboren und hat dort auch die renommierte Schauspielschule „Ernst Busch“ besucht. „Ich hätte zwar die Möglichkeit gehabt, in Berlin zu bleiben, hatte aber bereits nach dem zweiten Studienjahr einen Vertrag mit dem Thalia Theater geschlossen und bin dann nach Hamburg gegangen, obwohl ich die Stadt kaum kannte. Aber ich habe es nicht bereut.“ Seit zehn Jahren gehört Zimmler inzwischen zum Ensemble des Thalia Theaters und hat sich in den Häusern am Alstertor und in der Gaußstraße zu einem Protagonisten entwickelt. „Ich habe mich in Hamburg verliebt und fühle mich in der Stadt und auch im Thalia sehr wohl“, sagt er. Zwar hat er ab und an darüber nachgedacht, ob es nicht an der Zeit sei, dass Haus zu wechseln, aus der Bequemlichkeit herauszufinden und neue Erfahrungen zu sammeln, doch Zimmler bleibt dem Thalia erhalten. Auch dem Angebot zusammen mit den befreundeten Kollegen Antú Romero Nunes und Jörg Pohl nach Basel zu gehen, hat er widerstanden. „Ich finde es spannend, was sie dort machen, aber Basel ist mir zu weit entfernt. Meine Familie lebt in Berlin und ich möchte, auch aus ökologischen Gründen, nicht so viel unterwegs sein.“

Seit 2011 ist Sebastian Zimmler auch als Film- und Fernsehdarsteller präsent. Unter anderem hat er in Hans-Christian Schmids Spielfilm „Was bleibt“, in diversen „Tatorten“, in der ersten Staffel von „Dogs of Berlin“ und anderen Filmen mitgespielt. Zur Zeit dreht er in Hamburg „Verschieben wir es auf morgen“, basierend auf dem Buch der Schauspielerin Miriam Maertens. Sie ist die Tochter von Peter Maertens, mit dem Zimmler am Thalia Theater in „Panikherz“ zusammengespielt hat und der im vergangenen Sommer gestorben ist. „Es hat vor ein paar Wochen eine bewegende Matinee für Peter Maertens gegeben. Da war zu spüren, welch enge Gemeinschaft ein Theater sein kann“, sagt Zimmler. Trotz lukrativer Fernsehrollen schlägt sein Herz doch am stärksten für das Theater: „Die Energie beim Film ist nicht so unmittelbar. Wenn ich auf der Bühne stehe, bekomme ich viel mehr zurück.“

Sebastian Zimmler
Foto: Armin Smailovic

 

Über Sebastian Zimmler

An der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin spielte er 2008 Franz Moor in Schillers „Die Räuber“, das zum Nachwuchsfestival „Radikal Jung“ in München sowie zu den Mannheimer Schillertagen eingeladen wurde. In der Inszenierung „Schuld und Sühne“ von Andrea Breth, die 2008 bei den Salzburger Festspielen herauskam war er in der Rolle des Rasumichin zu sehen. Die Produktion „Berlin Alexanderplatz“ von Pedro Martins-Beja im Hebbel am Ufer in Berlin, in der er Franz Biberkopf spielte, wurde beim Berliner Festival 100° mit dem Jurypreis ausgezeichnet. Im Oktober 2014 wurde er gemeinsam mit Julian Greis, Mirco Kreibich, Daniel Lommatzsch, Thomas Niehaus, Jörg Pohl, Rafael Stachowiak und André Szymanski mit dem Rolf-Mares-Preis als beste Darsteller aus „Moby Dick“ ausgezeichnet.

2011 spielte er im Kinofilm „Was bleibt“ von Hans Christian Schmid mit, 2013 in „Hüter meines Bruders“ von Max Leo und 2015 in „Die Habenichtse“ von Florian Hoffmeister. Außerdem ist er häufig in TV-Produktionen, u.a. in der Netflix-Serie „Dogs of Berlin“ zu sehen.

Am Thalia Theater ist Sebastian Zimmler seit der Spielzeit 2009 & 2010 fest engagiert und arbeitet häufig mit u.a. Leander Haußmann, Antú Romero Nunes und Jan Bosse zusammen. 

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