Herausragende
Inszenierung

Kirill Serebrennikov
„Nabucco“
Hamburgische Staatsoper

Die Begründung der Jury lautet:
Er bringt diejenigen auf die Bühne, die man sonst nicht sieht, er verschafft denen Gehör, denen sonst kaum einer lauscht: Kirill Serebrennikov. Die Putzkolonne bereitet den Sitzungssaal des UN-Sicherheitsrates vor: So beginnt seine Inszenierung von Verdis Bibeloper „Nabucco“ an der Hamburgischen Staatsoper. Der Evergreen um einen größenwahnsinnigen Herrscher  - Zitat: „Make Assyria great again“ - ist bei ihm brennend aktuelles, quicklebendiges Theater, das die Macht des Kraftwerks der Gefühle beweist und zeigt, dass die Kunst sich nicht totschweigen lässt. In seiner winzigen Moskauer Wohnung von der Staatsmacht festgesetzt, hat Kirill Serebrennikov die Inszenierung über Kommunikation per USB-Sticks in Szene gesetzt. Sein langjähriger Mitarbeiter Evgeny Kulagin sorgte für die Umsetzungsarbeit vor Ort. Da stehen auf einmal wirklich Geflüchtete auf der Bühne und singen den Gefangenenchor, da erschüttern die aktuellen Kriegsfotos Sergey Ponomarevs. Oper als Forderung an die Gegenwart – „free Kirill“ steht auf den T-Shirts des Regieteams beim Premierenapplaus – der Hausarrest von Kirill Serebrennikov zumindest ist aufgehoben.

Kevin Haigen 
„Bundesjugendballett trifft Shakespeare“
Ernst Deutsch Theater

Die Begründung der Jury lautet:
Es kling wie eine lockere Verabredung: „Bundesjugendballett trifft Shakespeare“. Unprätentiös in Straßenkleidung, ganz im Hier und Heute findet das Treffen statt. In spielerischer Leichte und Unaufgeregtheit entwickelt sich ein ganzer Kosmos, der aus der Renaissance herüberragt. Kevin Haigen verknüpft die famosen Tänzer des Bundesjugendballettes mit Schauspielern und Musikern in einer klug komponierten Folge von Skizzen und Szenen zu Shakespeare-Texten.  Er lässt Musik aller Stilepochen und gänzlich unterschiedliche Choreografien in dem Projekt verschmelzen. Die Bühne ist ein Gerüst, das das Globe Theatre zitiert. Die Welt tanzt und tönt darin und darum, in Sinn und Sinnlichkeit, in Glück und Leid – ohne großen dramatischen Handlungsbogen aber in wesentliche Shakespeare-Momente verdichtet, die immer intensives Leben sind. Das ist nicht nur ein Bühnenprojekt, sondern eine große packende Theaterreise. 

Herausragende
Dramaturgie

Rita Thiele
„Die Übriggebliebenen“ nach Thomas Bernhard
Deutsches SchauSpielHaus Hamburg

Die Begründung der Jury lautet:
Die Dramaturgin Rita Thiele hat gemeinsam mit der Regisseurin Karin Henkel eine Bühnenfassung aus drei Texten von Thomas Bernhard erstellt und ihr den überzeugenden Titel „Die Übriggebliebenen“ verliehen. Thiele hat die 1979 bzw. 1986 erschienenen Werke durch ihre Bearbeitung revitalisiert und dabei ihre groteske Aktualität freigelegt. Wie unter einem Brennglas lassen die faszinierend miteinander verwobenen Auszüge der Stücke „Vor dem Ruhestand“ und „Ritter Dene Voss“ sowie des Romans „Auslöschung. Ein Zerfall“ die Denkstrukturen autoritär fixierter Charaktere erscheinen. Aber auch die stilistischen Merkmale des Autors treten dadurch geschärft zutage. Dessen Technik der Steigerung von Akt zu Akt – beispielhaft: die verbalen Übertreibungsergüsse der männlichen Protagonisten, die jeweils später auftreten und sich in fixe Ideen furios hineinsteigern – wird durch die drei thematisch verwandten Vorlagen in immer neuen Varianten virtuos vorgeführt. Gleichzeitig blickt man in einen Abgrund geschwisterlicher Dreierkonstellationen, „denen die Vergangenheit in den Knochen steckt, und die aus der veruntreuten Gegenwart keinen Gedanken für irgendeine Zukunft retten können“, wie die Neue Zürcher Zeitung anlässlich der Premiere schrieb.

 

Herausragendes
Bühnenbild

Eva-Maria Bauer
 „Maria“
Thalia Theater

 

Die Begründung der Jury lautet:
Dieser installative Bühnenraum in Sebastian Nüblings Uraufführung von Simon Stephens Gegenwartsstück „Maria“ am Thalia Theater ist karg und komplex zugleich. Karg wie der urbane Lebensraum der darin mäandernden Maria, komplex wie die Perversion der globalisierten Ökonomie im Alltag. Eva-Maria Bauer erschafft eine gewaltige Installation, die als Assoziation auf den Turbokapitalismus zu lesen ist. Alles ist Ware, alles ist verfügbar und doch vereinsamen wir zusehends. Was liegt also näher, als einen schwarzen LKW, später ergänzt um einige Bildschirme und Mikrofone, als Dreh- und Angelpunkt des Bühnengeschehens zu setzen?! Das kreisende Gefährt ist Mahnmal für die überfahrene Mutter, dient zugleich als Warenlager, Videoleinwand für Ausflüge in die Welt des Webcam-Chats, Zufluchtsort, Kreißsaal oder Sterbebett – die perfekte Metapher für die rasante, irrlichternde Fahrt des Lebens. „All you need is love“ prangt euphemistisch auf der Außenplane – doch alles, was es manchmal braucht, ist, neben der Liebe zu einem starken Stoff, ein so kluges, multiperspektivisch und eigenständiges Bühnenbild, wie es Eva-Maria Bauer erschaffen hat.

 

Herausragende Darstellerin / Herausragender Darsteller

Cathérine Seifert
als Barbara Fordham in "Eine Familie"
Thalia Theater

Die Begründung der Jury lautet:
Das Stück „Eine Familie“ ist eine Steilvorlage für ein brillantes Ensemble. Die Rollen sind Hochleistungsparts auf der emotionalen wie körperlichen Klaviatur. Der amerikanische Autor Tracy Letts entfacht in diesem auch verfilmten Werk ein dialogisches Feuerwerk. Die Rezeptzutaten hat er sich von Tennessee Williams, Eugene O`Neill und Edward Albee geholt. Im Zentrum steht die verwitwete Patriarchin Violet, das Flagschiff der Sippschaft Weston & Co, sesshaft irgendwo in der Prärie des Südstaats Oklahoma. Neben dieser monströsen Diva auf dem familiären Schlachtfeld hat eigentlich niemand eine Chance zum Überleben außer Barbara, die älteste der drei Töchter. Wie Cathérine Seifert diese Figur im Verlauf der dreieinhalbstündigen Vorstellung entwickelt und groß macht, ist atemberaubend. So gibt sie sich zunächst taff, pragmatisch, patent, fast unscheinbar. Im zunehmenden Nahkampf mit ihrer Mutter zeigt sie dann alle emotionalen Facetten einer teils empathischen, teils angewiderten Tochter, bezahlt diesen Kampf mit dem Verlust ihres Mannes und mutiert zum ebenbürtigen Mutter-Monster. Die Schauspielerin Cathérine Seifert schafft es, sich mit ihrem stupenden Körpereinsatz, ihrer Präsenz und Dynamik glänzend zu behaupten.

Anika Mauer
als Sophie in "Sophie"
Ernst Deutsch Theater

Die Begründung der Jury lautet:
Es ist die Kraft des Theaters und der Schauspielkunst Anika Mauers, die es vermag, uns von der ersten bis zur letzten Sekunde in den Bann zu ziehen. Sie erzählt so eindrücklich wie einfühlsam die Geschichte von „Sophie“ im gleichnamigen Stück, dass Zuschauende fast den Eindruck bekommen, einem fesselnden Monolog beizuwohnen. Gemeinsam mit der Hauptdarstellerin durchlebt das Publikum im wahrsten Sinne ihr gesamtes Leben in zwölf Altersstufen. Das verkörpert die in Bernau geborene Schauspielerin mit so einer Wucht, Kraft und Emotionalität, die das Publikum Abend für Abend von den Sitzen reißen. Egal ob mit sechs oder mit 87 Jahren – diese brillante Schauspielerin macht die vermeintlich alltäglichen Ereignisse des Lebens zu einem fulminant-dramatischen Theaterereignis.

Till Huster
als Paul Hinrichs in "De Mann in'n Strom"
Ohnsorg-Theater

Die Begründung der Jury lautet:
Seit 20 Jahren ist er festes Ensemblemitglied am besonders Hamburgischen Ohnsorg-Theater, der gebürtige Bremer Till Huster. Nach vielen großartigen Rollen im vergangenen Jahr, hat er in der letzten Spielzeit „De Mann in‘n Strom“ in der gleichnamigen Ohnsorg-Inszenierung nach dem Roman „Der Mann im Strom“ von Siegfried Lenz verkörpert. Ein Höhepunkt seiner Laufbahn. Wie er dem knorrigen alten Taucher Paul Hinrichs, der in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg seinem Job nicht mehr gewachsen ist und deshalb entlassen wird, Verbitterung, Wut und Würde gibt, ist große Schauspielkunst und steht eindrucksvoll fur den unbekannten Arbeitslosen aller Zeiten, der durch Zeitumstande, Alter und nachlassende Krafte Beschäftigung, Selbstvertrauen und Lebensmut verliert. Till Huster zeigt ihn uberzeugend als verzweifelten, trickreichen Kampfer fur sein Glück.

 

 Herausragende Komposition
& Musik

Die Begründung der Jury lautet:
Bei einem Gesamtkunstwerk aus gelungener Regie, hervorragendem Schauspiel, Kostüm, Bühne, Licht, Projektionen und Musik, müsste man eigentlich alle Beteiligten auszeichnen. Bei der Produktion von „Das Hirn ist ein Taubenschlag“ im Monsun Theater muss aber in besonderem Maße die Musik von Clara Jochum und Hannes Wittmer hervorgehoben werden. Live gespielt unterstützen und akzentuieren Glockenspiel, Gitarre und Cello sowie elektronische Soundeffekte den Text von Dita Zipfel und Finn-Ole Heinrich. Die Töne und Klänge kommentieren und strukturieren den Redefluss von Adalbert Immenstein, verkörpert von Pablo Konrad. Ohne sich je aufzudrängen, verstärkt die Musik nicht nur in jedem Moment das Bühnengeschehen, sie macht die wirren Hirnströme Immensteins quasi hörbar. Eindrucksvoll und berührend!

 

Sonderpreis für außergewöhnliche Leistungen im Rahmen des Hamburger Theaterlebens

Polittbüro

Die Begründung der Jury lautet:
1984 gründeten Lisa Politt und Gunter Schmidt die freie Theatergruppe „Herrchens Frauchen“ - ein politisches Kabarett , natürlich mit hohem musikalischen Anteil, handelt es sich bei dem Duo doch um eine Schauspielerin und einen Musiker. Schon sehr bald erspielten sich die beiden einen Ruf weit über Hamburg hinaus. Als 2003, nach dem Auszug des Schauspielhauses, das Neue Cinema am Steindamm frei wurde, zogen die beiden Künstler dort unter dem Namen „Polittbüro“ ein. Seitdem bieten Lisa Politt und Gunter Schmidt ein inhaltlich stringentes, konsequentes, meist politisch ausgerichtetes Programm mit Lesungen, Theater, Konzerten, Kabarett. Ein Zuschauer beschrieb es so: „Orte, die sich selbst treu bleiben, gibt es selten. Das Polittbüro ist so einer. Möge uns diese manchmal unbequeme, kritische Bühne noch lange erhalten bleiben."